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"Ein kleines Fünckchen Hoffnung" - Goethes Erben am 17.11. in Berlin



Bei allem Pessimismus, Zerstörung, Traurigkeit und dosierter Lethargie - so "ein kleines Fünckchen Hoffnung" versprach Goethes-Erben-Mastermind Oswald Henke dem Berliner Publikum am 17.11. doch auch mit auf dem Weg zu geben. Suchte man diesen, so wurde man hin und wieder sogar auch fündig.

Die Berliner "Wabe" inmitten des Pankower Ernst-Thälemann-Parks sollte an diesem tristen Novembertag der Ort eines nachhaltigen und beeindruckenden Konzerterlebnisses werden. Sechs Jahre nach der Stillegung der dortigen Gaskokerei gründeten sich 1989 mehr als 400 Kliometer des

heutigen Kulturzentrums entfernt "Goethes Erben" in Bayreuth. Bereits drei Jahre zuvor fand die Taufe des belgischen Trios "The Arch" statt, die gleich mit dem Song "Babsi ist tot" aus dem ersten Album einen echten Clubhit landeten, der noch heute den DJs landauf, landab eine volle Tanzfläche beschert. Oswald Henke höchstpersönlich übernahm die Rolle des Ansagers der Band und die Dark-Waver betraten dann gegen 20 Uhr 15 die Bühne und lieferten einen recht kraftvollen und soliden Gig ab. Mit dabei waren nebst Klassikern natürlich Songs des letztjährig erschienenen neuen Albums "Sanctuary Rat". Frontmann C.U.V.G. schaffte es durch seine charismatische Erscheinung rasch, das Publikum in seinen Bann zu ziehen und mal elektronischer, mal rockiger, mal lauter und


mal ruhiger zu begeistern und auch zum Mitklatschen zu animieren. "The Arch" lieferten wie ein Hauptact mit einer faszinierenden Video-Performance auf der Leinwand und einer tollen Lichtschow dazu. An Ende gab es dann natürlich noch die drei Clubhits "Ribdancer", "Eyes wide open" und "Babsi ist tot". Letzteres in einer klassischen Piano-Version mit Unterstützung des Goethes-Erben-Cellisten Benni Cellini, welche dann mit Übergang zu einem fulminanten Finale endete. Mit Ausnahme des Umstandes, dass C.U.V.G. den Refrain inzwischen eine komplette Oktave tiefer singt war nicht die Spur zu vermerken, dass "The Arch" ihren Glanz der frühen Tage auch nur ansatzweise veroren hat.


Die Umbaupause gestaltete sich kurz und "Goethes Erben" luden zu ihrer im Vorfeld angekündigten "dystopischen Zeitreise", wenngleich sich die "Wabe" als echtes Schmuckstück und alles andere als dystopisch darstellte: Tatsächlich ist das Auditorium wabenförmig gestaltet und somit wohl einzigartig in Deutschland. So ganz ohne Anlaufszeit zeigte Oswald Henke von Beginn an, in welche Richtung dieser Abend gehen sollte. Fast schon warnend verkündete der Frontmann, dass die Konzerte dieser Tour "kein Best of" werden wird. Mit gleich fünf wuchtigen und brachialen Songs der letzten Alben schlug Henke dem Publikum seine ekstatischen Ausbrüche über die

Wut über diese Welt um die Ohren. Bereits nach drei Songs kleben die Haare im Gesicht und der Bayreuther präsentiert sich klitschnass geschwitzt. Freilich gewohnt mit stillen Passagen voll Ruhe und Nachdenklichkeit. Oswald Henke kauert im Hintergrund der Bühne auf einer Kiste. Der Kopf ist gesenkt, die Haare fallen über das Gesicht, leise spricht er die Texte. Dann ein "Big Bäng", Henke springt auf, schreiend und tobend ähnlich Klaus Kinski in bester Manier beschwört er am Bühnenrand die Gäste in der ersten Reihe. Dazu entfacht die fünfköpfige Begleitbänd Lärm und Radau. Henke zieht sich dann danach wieder still und nachdenklich auf seine Kiste zurück und der Lärm

verstummt. Es gleicht der Frage, wie man umgehen soll, mit all den Ungerechtigkeiten in dieser Welt, den gesellschaftlichen und menschlichen Abgründen unserer Zeit, der erlebten Ohnmacht. Oswald Henke findet nicht nur in den teils politischen und gesellschaftkritischen Texten die treffenden Worte, er demonstriert die Antwort auf diese Frage auch leibhaftig: Wir reagieren mit Rückzug und Lethargie, mit Auflehnung gegen die Ungerechtigkeit und den aufkommenden Faschismus, vor allem aber voll Zorn und voll Wut. Und genau dieser Zorn und diese Wut entladen sich in Henkes Performance immer wieder auf der Bühne. Eine Wut über "blutende Mütter und weinende Kinder" (Lazraus), darüber, dass sich "Europa seine weißen Füße vom vielen Treten massiert". Über

"Jammerbürger, Wutbürger, Gutmenschen oder Nochmenschen" in dem krachenden "Darwins Jünger". Henke resümiert: "Ich denke, es reicht völlig aus zu warten. Die Zeit verbrennt sie auch ohne Feuer." Und da war es - dieses Fünkchen Hoffnung ! Und einmal mehr wird den Fans bewusst: Henke gilt als Meister der Verbalchirurgie an dessen lyrische Kunst nur sehr wenige Künstler das Wasser reichen können. Erst nach zehn Songs wird dann mit umjubelten "Nichts bleibt wie es war" dann doch noch etwas Tiefer in die Banddiskografie hineingegriffen. Lieder aus der Trilogie der Anfangjahre, als Goethes Erben stilistisch noch als Aushängeschild der "Neuen Deutschen Todeskunst" galten, finden kaum noch Raum. Und sie werden angesichts der faszinierenden neuen Songs auch kaum vermisst. Henke feuert hingegen eine ganze Ladung Papierflieger ins Publikum, die eine beachtliche Reichweite erreichen. Als dann doch "Die Brut" aus dem Jahr 1993 angestimmt wird, wirkt es durchaus erschreckend, dass rund 30 Jahre später die Prophezeiungen des Songs im aufkommenden neuen Faschismus eintreten - "und der Tag wird kommen".

Der Konzerthöhepunkt schien bei "Darwins Jünger" schon erreicht, da setzten Goethes Erben mit dem Klassiker "Das Ende" (u.a. vom ersten Demo-Tape) nochmals einen drauf und überraschten kurz darauf mit dem getragenen, verträumten Artwork-Song "Stadt der Träume", bei dem Henke ganz im Sandmännchen-Manier Glitzerstaub über das Publikum streut. Durchaus: Es gab auch stille, melancholische Momente zum Träumen an diesem Konzertabend. Und irgendwie wünschte man sich, dass dieser Song nie zu Ende gehen sollte. Er tat es dann ebenso wie das Konzert doch und mit dem stillen "Am Abgrund" verabschiedete sich die Band unter tosendem Applaus erstmals von der Bühne. Bei "Verstümmelung" als Zugabe sorgten zwei "Tatortreiniger" auf der Bühne für Sauberkeit eines von Henke angerichteten Gemetzels. Im zweiten Zugabeblock wird ein Song angekündigt, der bei diesem Konzert zum letzten Mal live ertönen sollte - "denn irgendwann wird es für alle Märchenprinzen Zeit zu gehen."


Im Original im Duett mit Peter Heppner gesungen, wird dann noch Goethes Erben einziger Chart-Erfolg ausgepackt: Henke entführt gemeinsam mit "The Arch" Frontmann "C.U.V.G." die Fans in den "Glasgarten", wobei letzterer Genannter den Heppner-Gesangspart übernahm.

Nachdem das begeisterte Publikum nun noch mehr wollte, folgte zum Ende noch eine weitere Zugabe mit "Lebend lohnt es" mit der Weiheit, dass man über Mauern auch springen kann, dies ganz leicht gehe und man nur Mut dazu brauche. Nun, dies war dann doch noch ein großer Funke Hoffnung zum krönenden Abschluß eines phantastischen Musiktheaters. Nie zuvor waren Goethes Erben so gut wie heute ! Warum und wann es dennoch ein angekündigtes Ende der Band gibt und die


Gründe dafür, verriet Oswald Henke unserem Magazin im Video-Interview, welches ihr auf unserem Youtube-Kanal anschauen könnt.

Die komplette Bildergallerie zum Konzert könnt ihr auf unserer Facebook-Seite sehen.






Für Stuttgart Schwarz in der WABE Berlin war für Euch Jolly von Hayde.




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