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"Fehlfarben" live in Berlin auf dem Alexanderplatz (06.11.19)


Berlin hat immer etwas zu feiern. Fast immer zumindest, ausser der Eröffnung eines neuen Flughafens. In der 45. Kalenderwoche des Jahres 2019 boten die Feierlichkeiten mit rund 200 Veranstaltungen unter dem Motto "30 Jahre friedliche Revolution - Mauerfall" dafür doch eine gute Alternative, bescherte dieser Anlaß den Preußen doch darunter ein Freiluftkonzert der legendären "Fehlfarben" aus Düsseldorf und Wuppertal.

Bei einem Blick ins Rund der Zuschauer vor der Open Air Bühne auf dem Alexanderplatz im strömenden Regen kam man nicht um den Gedanken herum : "Ich schau' mich um und seh nur Ruinen..."

Der Alt-68er traf auf den Altpunk und zwischen den Linksautonomen der "Rigaer Straße" mischten sich zufällig vorbeilaufende anständige Bürger oder Touristen.

Getreu des "Fehlfarben"-Songs "Der Himmel weint" betrat zunächst die Ost-Punkband "Zerfall" zum immer stärker prasselnden Regen kurz nach 19:00 Uhr die Bühne.

Eine Band mit einer bewegenden Geschichte, irgendwo zwischen Stasi-Repressalien der DDR, Verhören, Verhaftungen, Proben in der Galiläa-Kirche und dem Rauswurf eines Bandmitgliedes, welcher sich zum Rechtsextremen wandelte. Das war vor Jahren.

Gegründet 1983 in Berlin-Friedrichshain begeisterten sich die Ostpunks freilich auch für die "Fehlfarben", sahen sie jedoch nicht als Vorbilder ihres musikalischen Schaffens.

Die Texte aggressiver und direkter, der sound rauher, waschechter Punk und eher laut eigener Aussage an Bands wie "Slime" orientiert.

"Zerfall" heizten den Zuhörern auf dem Alex bestens ein, welche dem Regen trotzten und ausgiebig songs wie "Ostkreuz in Flammen" ebenso feierten wie Cover-Einlagen von "D.A.F." oder "Ton, Steine, Scherben".

Die laut geforderte Zugabe blieb jedoch aufgrund des straffen Zeitplanes leider aus - Der Osten wich dem Westen und so begann der Umbau für die "Fehlfarben", einer Band zu der ebensowenig gesagt werden muss wie zu ihrem Kultalbum "Monarchie und Alltag", welches just vom "Rolling Stone" zur besten deutschsprachigen Platte aller Zeiten gekürt wurde und 17 Jahre nach seiner Veröffentlichung im Jahre 1980 den Gold-Status erreichte.


"Monarchie und Alltag" gilt unumstritten als Meilenstein deutscher Musikgeschichte und als richtungsweisend für unzählige nachfolgender Bands.

Im geteilten Deutschland und dem Aufkommen der "No Future"-Bewegung waren die Rheinländer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Der Slogan "Was ich haben will, das krieg' ich nicht - und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht" wurde zum Leitsatz einer ganzen Generation. Fast 40 Jahre nach "Paul ist tot" ist der Song auf den alternativen Tanzflächen nach wie vor nicht tot zu bekommen !

Die Bandmitglieder der Nachfolgeband von "Mittagspause" gleichen der "Crème de la Crème" alternativer Deutscher Musikgeschichte.


Da wäre zum Beispiel Michael Kemner (Ex - DAF), Frank Fenstermacher am Saxophon ("Der Plan") oder Kurt Dahlke (Gründungsmitglied von "DAF", "Der Plan"), welche sich um Frontmann Peter Hein scharen.

Sie alle betraten gegen 20 Uhr 30 die Bühne auf dem Alexanderplatz an jenem denkwürdigen 6. November.

Verliefen die ersten 20 Konzertminuten noch etwas statisch (durchbrochen vom viel umjubelten "Grauschleier"), unterstrich die Band dann aber mit "Kebabträume" (einem gemeinsamen song von DAF und den Fehlfarben) ihre enge Verbundenheit zu DAF.

Erst jetzt begrüßte Peter Hain das Berliner Publikum, der Regen ließ mehr und mehr nach und der 62jährige legte samt seinen Musikanten nun richtig los ! - "Das war vor Jahren", "Apokalypse", oder mit dem Ska-lastigen "Ein Jahr (Es geht voran)" ihrem einzigen Chart-Erfolg - Ebenso gegen den Willen der Band von EMI als single ausgekoppelt, als auch von der Hausbesetzerszene als „Hymne“ erklärt.

Verhunzte Hein vergangene Konzerte ab und an durch sehr denkwürdige gesangliche Ausflüge in merkwürdige Gefilde, so fand der Punk-Ikone an diesem Abend zu alter Form zurück - die sozialkritischen und mit Metaphern gespickten politischen Texte wurden rotzig-aggressiv vorgetragen und verfehlten nicht ihre Wirkung, so dass es in den vorderen Reihen im Publikum schon mal etwas ruppiger zuging.

"30 Jahre Mauerfall. Ich bin damals vor meinem Fernseher gesessen und habe gespürt, dass sich ab sofort grundlegend etwas ändern wird. Ich konnte nur nicht einschätzen ob zum Guten oder zum Schlechten..."


Ob aus Einschätzung 30 Jahre danach Erkenntnis folgte, ließ der inzwischen ergraute aber deutlich abgespeckte Sänger offen.

Als nach gut 60 Minuten Thomas Schneider an der Gitarre das Klingen einer tickenden Zeitbombe simulierte, war das Publikum nicht mehr zu halten. Jeder kennt dieses Into und Outro von "Paul ist tot", welches am Ende eines wirklich großartigen Konzerts in einer ausladenden Version perfekt inszeniert wurde. Ohne Schnörkel, ohne Neuinterpretation, ohne Schnick-Schnack, ohne Kompromisse !

Es hatte längst aufgehört zu regnen und die Band verabschiedete sich von den Hauptstädtern während auf den Gebäudefassaden um den Fernsehturm in überdimnesionaler Videoprojektion Berichte und Aufnahmen des Mauerfalls 1989 flimmerten.

Paul mag tot sein, schon seit fast 40 Jahren - doch die Fehlfarben leben !


Bericht und Fotos : Jolly von Hayde





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