Es gibt es Musikbusiness diese Träume, die vom Aussterben bedroht sind. Im Jahre 2024 erklimmt man den Pop-Himmel meist als Influencer, Tik Tok Held oder Casting-Show-Gewinner. Und früher war alles... nennen wir es "anders".
Da gab es diesen Traum dieser drei Schüler aus der schwäbischen Provinz und ihrer Demo-Kassette, welche im Keller von Heiko Mailes Elternhaus in der Metterzimmerer Straße in Kleinsachsenheim bei Bietigheim-Bissingen von Marcus Meyn, Oliver Kreyssig und Heiko Meile aufgenommen wurde. Gerade mal 18 Jahre waren die drei Buben aus der "Boys Factory" (so tauften sie diesen Keller). Aus der Jungsfabrik entstand eine Traumfabrik und aus der im Jahre zuvor gegründeten Band "Camouflage" entstand Musikgeschichte, die damit begann, dass ein Freund des Trios diese
Demo-Kassette an einen hessischen Rundfunksender schickte. Den Traum, dass dies der Startschuss einer Weltkarriere sein sollte, hatten die drei Schwaben mit Sicherheit nicht mal und er erfüllte sich dennoch. Den Influencern und Tik Tok Stars, die hingegen exakt von diesem Ruhm, Ehre und Erfolg träumen, könnte diese Band gewiss nur ein müdes Lächeln abgewinnen. Vielleicht tun sie es auch mit dem Wissen, dass sie alle in 40 Jahren wohl keine 1,2 Mio. Tonträger verkauft haben werden, keine goldenen Schallplatten in den Himmel recken und ihre Fans europaweit nicht auf die Zeitreise ihrer 40-jährigen Musikgeschichte in einer Tournee mitnehmen.
Rewind, Past and Goodbye - Camouflage luden zur Zeitreise ein und ihre Fans pilgerten in die Metropolen um mit ihren Helden die Begleitmusik ihres Lebensfilms zu feiern. Der Tourabschluß am 25.10.24 in der Berliner Columbiahalle bedeutete dieses Mal jedoch für keinen der Band mehr ein Heimspiel. Oliver Kreyssig stand nicht mit auf der Bühne (war jedoch im Publikum zu sehen) und Marcus Meyn zog es inzwischen von Berlin wieder zurück ins heimische Stuttgart. Dennoch verriet der Sänger STUTTGART SCHWARZ, dass das Konzert in seiner Zweitheimat etwas ganz besonderes sei (zum STUTTGART SCHWARZ Interview mit Marcus Meyn gelangt ihr hier). Überhaupt büßte der Camouflage-Frontmann nicht die Bohne an Vitalität und Spritzigkeit im Vergleich zu den ersten Konzerten in den 80ern ein. Auf der Bühne tanzt, tigert und hüpft der 59jährige so unbeschwert und unermüdlich, als sei er kurz davor in einen Jungbrunnen gefallen.
Dann wären da noch Schlagzeuger Jochen Schmalbach, dessen Dienste als Produzent und Remixer schon Bands wie Rammstein und Alphaville in Anspruch nahmen, und Volker Hinkel, dem in Calw geborenen Keyboarder und Gitarristen von "Fools Garden". Mit dem Trio Meyn / Hinkel / Schmalbach stand gleichzeitig die komplette Band M.I.N.E übrigens auf der Bühne.
Doch beim Konzert zwei Tage zuvor in München stürzte Schmalbach vor der Zugabe von der Bühne mit den Folgen einer Rippenprellung und eines eingeklemmten Nervs. Das Konzert in Berlin stand der Drummer nur dank starken Schmerzmitteln durch und Heiko Maile zeigte sich vor dem Konzert daher berechtigterweise recht angespannt, da keinem klar war, ob Schmalbach auf der Bühne durchhalten wird. Maile war daher den ganzen Tag mit Programming beschäftigt und tüftelte an einem synthetischen Notprogramm für den Fall der Fälle. Dieses kam jedoch nicht zum Einsatz und Jochen Schmalbach hielt dieses letzte Tourkonzert tapfer durch. Nun gibt es jene Bands, die zum anstehenden Karriereausklang nochmals auf Tour gehen um etwas für ihre Rente zu tun, einfach nochmals mitnehmen wollen was geht, sich in früheren Erfolgen nochmals sonnen und mit einem gefüllten Konto verschwinden - Rewind the past and Goodbye.
Bands wie Camouflage ? Mitnichten ! Camouflage verfolgten das Ziel, ihren Fans ein ganz besonderes Erlebnis mit dem Konzept dieser Zeitreise zu schenken, sie mit in ihr Boot zu holen und gemeinsam das Leben zu feiern. Ähnlich also wie "The Sisters of Mercy". Nicht.
Diese Zeitreise wurde aufwändig inszeniert. Vier Screens auf der Bühne und eine ausgefeilte Lichtshow begleiteten Band und Fans durch die Jahre. "1987" stand da in großen roten LED-Lettern auf den Screens zu den Klängen von "That Smiling Face". Doch die chronologische Zeitreise startete noch früher, mit "Fade in Memory" vom sagenumworbenen Demo-Tape 1984, welches es dann auf kein Album bisher schaffte. Nun trieb die digitale Jahresuhr auf der Bühne die Zeit voran und den Jahreszahlen (2003 - "Sensor" oder 2006 - Relocated") folgten jeweils Fotos, Musikvideos und Motive der Plattencover der jeweiligen songs. Einziger Wermutstropfen: Ausgerechnet das Gold-Album "Methods of Silence" wurde an diesem Abend mit Ausnahme des Pflichtsongs "Love is a Shield" als letzte Zugabe ansonsten komplett ausgespart.
Mit zwei Coverversionen überraschte die Band als Bonus noch die Fans: "Cold" von "The Cure" (vom Album Pornography), sowie "Blue Monday" von "New Order" (eingebettet in "We are Lovers" vom "Relocated"-Album).
Camouflage sorgten für einen Augen-und Ohrenschmaus bei dieser Tour und Marcus Meyn erzählte vom Kramen in alten Fotokisten, der Arbeit mit der aufwändigen Digitalisierung des Materials bis hin auf die Screens der Bühne, dass er bis zum Karrierestart gar keine Ahnung von Musik hatte und nur Blockflöte spielen konnte bis hin zur Geschichte der Demo-Kassette 1984, die ein Freund einem hessischen Rundfunksender zuschickte. Hin und wieder fand Heiko Maile dazu einen verschmitzten Kommentar im Hintergrund und sorgte für so manchen Lacher. Zum Ende des Konzerts gab es noch "The great Commandment" samt
dem legendären Videoclip von 1987 auf den Screens und als Zugabe folgten u.a. die Nachfolgesingles "Strangers Thoughts" und "Neighbours". Mit "Love is A Shield" badete die Band zum Abschied in tosendem Applaus eines ausnahmslos begeisterten Berliner Publikums. An diesem Abend wurde klar, warum diese Tour um ein ganzes Jahr verschoben wurde. Die Band gestaltete diesen Abend mit unglaublich viel Aufwand, Kurzweiligkeit, Showeffekten und Überraschungen - und vor allem mit sehr viel Liebe ! Die Umsetzung der Ideen erforderten mit Sicherheit viel Zeit, nervenaufreibende Arbeit und an Kosten wurde nicht gespart. Mehr Achtung und Dankespreisung kann eine Band ihren Fans nicht mehr entgegenbringen und so verschmolz dieser Abend zu einer gemeinsamen und unvergesslichen Zeitreise. So kann man vor den vier Schwaben auf der Bühne nur den Hut ziehen und sich hoffentlich auf noch viele weitere tolle Konzerte 2025 freuen.
Aus Berlin für Euch vor Ort: Jolly von Hayde
Das komplette Interview mit Marcus Meyn gibt es auf dem Stuttgart Schwarz Youtube Kanal hier : https://www.youtube.com/watch?v=xdYaso2GCPM&t=10s
Die Bildergalerie mit vielen Konzertfotos gibt es hier auf unserer Facebook-Seite: https://www.facebook.com/media/set/?vanity=stuttgartschwarz&set=a.1085327430262045
Wir bedanken uns von Kai (Protain) und Jessica (Tourmanagement) für die reibungslose und tolle Zusammenarbeit.
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