Es war ein musikalisch sowohl denkwürdiger als geschichtsträchtiger 10. Juni in der baden-württembergischen Landeshauptstatt. Während draußen auf dem Cannstatter Wasen die Berliner Rockrüpel „Rammstein“ wüteten, gaben sich die Londoner Gentlemen Chris Lowe und Neil Tennant nur einen Steinwurf zeitgleich entfernt in der benachbarten Porsche-Arena etwas gediegener die Ehre.
An und für sich kollidierten zwei völlig gegensätzliche Planeten im Musik-Universum an jenem warmen Juni-Abend ausgerechnet in Stuttgart – vermeintlich.
Denn die „Pet Shop Boys“ und „Rammstein“ verbindet mehr, als der Musik-Laie vermutet. So ließen sich die Londoner Pop-Ikonen nicht zweimal bitten und fertigten 2004 zu „Mein Teil“ den „You are what you eat Remix“ an. Und nicht nur das : Nach dem Konzert twitterten die Pet Shop Boys auf ihrem account Bilder der „amazing Pyro-Show“ des noch andauernden Rammstein-Konzerts, welche sie auf der Fahrt zum Hotel noch bestaunen konnten.
Doch der Reihe nach : Wer in aller Regelmäßigkeit die Konzerte der „Pet Shop Boys“ besucht hat, weiß, was ihn erwartet : Jede Menge Pathos, Pomp, Show und ein Spektakel voller Überraschungen.
Schlag 20 Uhr starteten Tennant und Lowe auch mit dem groß inszenierten Intro ihr Stuttgarter Konzert der „Dreamland“ Tour, welche nach coronabedingten Verschiebungen nun endlich stattfand.
Und da standen sie nun leibhaftig, laut Guiness Buch der Rekorde das erfolgreichste Pop-Duo der Musikgeschichte. Tatsächlich : Als Rammstein 1995 mit „Herzeleid“ ihr erstes Album präsentierten, waren die Vitrinen der Pet Shop Boys schon überfüllt mit Auszeichnungen, Awards, Trophäen und Pokalen.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Boys bereits mehrere Nummer-Eins-Hits und weltweit unzählige Top-10-Hits zu verzeichnen.
Wenig überraschend : Der Opener „Suburbia“, mit dem schon bei vergangenen Touren bevorzugt gestartet war. Hier wurde gleich zu Beginn ein Joker ins Feld geworfen und tatsächlich ging es dann Schlag auf Schlag. Während man bei anderen Bands auf „diesen einen Hit“ wartet (der dann meistens am Ende oder als Zugabe kommt), liefen die PSB Hits vom Fließband und in einem Guss.
Sage und schreibe 26 Alben und 49 singles notierten die deutschen Charts seit der ersten single „West End Girls“ 1985 bis heute.
Und die ersten 15 singles aus den Alben von 1986 („please“) bis 1990 („Behaviour“) wurden komplett während der Show präsentiert.
Dennoch machte sich mit zunehmender Dauer des Konzerts trotz der phantastischen songs Ernüchterung und Enttäuschung breit.
Die Videoleinwand hinter den beiden Protagonisten untermalte die songs visuell zwar sehr anschaulich und interessant, doch wo war der Glanz der Show der früheren Tage ? Die Statisten Tänzer/innen ? Die Show mit Überraschungseffekten ? Das Spektakel ? Die vielen aufwändigen Kostüme ? Die Exzentrik ? Fehlanzeige !
Man hatte sich schon damit abgefunden, dass diese Zeiten der alternden Herren (Neil Tennant 67, Chris Lowe 62) vorbei zu sein scheinen, da schlichen sie sich nach einer halben Stunde von der Bühne und man hoffte und ahnte, dass nun einer dieser Überraschungseffekte folgen wird.
Die Videoleinwand entpuppte sich nur als Vorhang, welcher langsam hochgezogen wurde. Und nun konnte das Spektakel beginnen !
Die Zuschauer bejubelten ein futuristisch-dreidimensional anmutendes Bühnenbild mit unzähligen Lichteffekten, beweglichen Megascreens und in der Mitte bestieg der gewohnt zurückhaltende Chris Lowe die bombastische DJ-Kanzel.
Gleich zwei Synthietoms-Trommler heizten der Porsche-Arena nebst einer Keyboarderin ordentlich ein und ein audiovisuelles Tamtam nahm seinen Lauf.
Egal wie lange man auf die Effekte der Bühne starrte – es gab immer etwas neues zu entdecken.
Mit sehr viel Aufwand brodelten die Musiker in einem Vulkan und fanden sich kurz darauf im Weltall.
Die beiden überdimensionalen Straßenlaternen auf der Bühne kamen zum einen perfekt bei „What have I done to deserve this ?“ (im Duett mit der stimmlich phantastischen Keyboarderin) zum Einsatz, zum anderen zum Videohintergrund derselben bewegten Laternen. So wirkte es, als bewegen sich die Pet Shop Boys singend und spielend fahrend auf einer nächtlichen Straße.
Die Pet Shop Boys taten gut daran, mit songs aus ihrem aktuellen Album „Hotspot“ zu geizen. „Monkey Business“ und „Dreamland“ entpuppten sich als Stimmungskiller. Das haben Tennant/Low mit anderen Bands ihrer Epoche (Depeche Mode) gemeinsam : Sie können (oder wollen) keine „Hits“ mehr abliefern. Die Zeit der großen Hymnen liegt schon mehr als 20 Jahre zurück und man verlor sich in belanglosem Geblubber oder austauschbaren House-Sounds.
Neil Tennant dominiert mit seiner scheinbar ewig jugendlich klingenden Stimme und beweist, dass die „Pet Shop Boys“ auch heute noch eine der wenigen Bands von früher sind, die man live wirklich noch anhören kann. Lediglich bei „Love comes quickly“ kämpft er mit den hohen Tönen bis die Stimme schließlich bricht und versagt. Das sei angesichts der Gesamtleistung verziehen.
Wirkte das Duo früher sehr unterkühlt und fast unnahbar, so zeigte sich Tennant dieses Mal erstaunlich gesprächig, erzählte ironisch und witzig kleine Anekdoten zu den songs oder ihre Bedeutung speziell für Deutschland.
Bei „You only tell me you love me when you’re drunk“ greift er – ebenfalls wie gewohnt – zur Akustik-Gitarre und taucht die Porsche-Arena in ein Meer von Lichtern und Feuerzeugen.
Immer wieder peitscht er (untypischerweise) die Schwaben mit einem lauten „Stuttgaaaaart“ auf und animiert zum Klatschen. Das war aber auch bitter nötig, denn die Schwaben geizten leider sehr mit Bewegungen jeglicher Art, feierten die Hymnen ihrer Jugend jedoch freilich nach jedem Song bis zum Ende, bei dem Tennant und Low mit „It’s a Sin“ und „Go West“ nochmals fulminant aufdrehten und nun doch den Saal zum Kochen brachten.
Nach der Zugabe „West End Girls“ beendeten die Pet Shop Boys mit – ebenfalls wie fast immer – „Being Boring“ nach 26 songs und 120 Minuten ihr Gastspiel in der Schwabenmetropole.
Es war anders als sonst.
Statt Exzentrik, Tänzer, Statisten, Kostüme und Show wurde diesmal auf Live-Band und eine spektakuläre, sowie aufwändige visuelle Show gesetzt. Deshalb aber nicht schlechter !
Und – sind wir ehrlich – es ist nur noch ganz, ganz wenigen Künstlern dieser Epoche vergönnt, auch heute noch stimmlich, musikalisch und bezüglich Performance derart einzigartig und unvergleichlich zu überzeugen !
Setlist : Suburbia
Can You Forgive Her?
Opportunities (Let's Make Lots of Money)
Where the Streets Have No Name (I Can't Take My Eyes Off You)
Rent
I Don't Know What You Want but I Can't Give It Any More
So Hard
Left to My Own Devices
Single-Bilingual / Se a vida é (That's the Way Life Is)
Domino Dancing
Monkey Business
New York City Boy
You Only Tell Me You Love Me When You're Drunk
Jealousy
Love Comes Quickly
Losing My Mind
Always on My Mind
Dreamland
Heart
What Have I Done to Deserve This?
It's Alright
Vocal
Go West
It's a Sin
Zugabe:
West End Girls
Being Boring
Für Stuttgart Schwarz vor Ort : Jolly von Hayde (Bericht) Tilman Seel (Fotos)
Vielen Dank an Arnulf Woock von "Musiccircus" für die gute Zusammenarbeit !
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