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Nicht von dieser Welt - "Dead can Dance" zelebrieren die Postapokalypse in Berlin

Aktualisiert: 22. Mai 2019



29. April 1945. Die Bundeshauptstadt liegt in Schutt und Asche, die Sowjet-Alliierten rückten über das "Tempelhofer Feld" unaufhaltsam in diesen letzten Kriegstagen zum großen Finale in dieser "Schlacht um Berlin" an.

Mit über 10.000 Menschen ist der Luftschutzbunker in Kreuzberg am "Anhalter Bahnhof" hoffnungslos überfüllt, die hygienischen Zustände sind katastrophal.

60 Jahre später blickt man von diesem historischen Bunker aus genau auf die Grundsteinlegung des "Neuen Tempodroms" und weitere 14 Jahre später sollten musikalische Gäste aus Australien den mehr als stimmigen soundtrack zu den Ereignissen vor nunmehr 74 Jahren liefern - Dead can Dance.


Mögen andere sich für apokalyptische Musik zuständig fühlen, Dead can Dance liefern die Postapokalypse. Bedrohlich, unnahbar, mystisch, unantastbar, geheimnisvoll, wunderschön, was auch immer. In jedem Falle nicht von dieser Welt.

Mögen es einige "Lichtgestalten" der Weltmusik geben, doch nur eine, die diesen Begriff in reinster Form ebenso perfektioniert wie personifiziert. Wenn Lisa Gerard die Stimme erhebt, ihre schneeweißen Gewänder auf der ansonsten dunklen Bühne in Licht getaucht werden, sie geradezu beschwörend wie hinter einem Altar steht und singt und Brendan Perry, sowie Scott Rodger - beide kahlgeschoren und grau-bärtig, wie zwei Schutzpatronen Seite an Seite mit ihren Instrumenten auf diese Göttin blicken, wähnt man sich als Zeuge einer spirituellen oder religiösen Prozession oder Zeremonie.

Freilich waren beide Konzerte der Australier im Berliner Tempodrom in kürzester Zeit restlos ausverkauft und man mag sich fragen, warum man sich nicht für eine größere location entscheidet.


Jedoch würde dieses Spektakel und diese Akustik in großen Hallen niemals so funktionieren, Dead Can Dance entfalten sich nur in ausgewählten Konzerthallen, Kirchengemäuern oder sonstigen Veranstaltungsorten, die ihrer aufwändigen Instrumentierung und ihrer Stimmen gerecht werden.

Kurz nach 21 Uhr eröffnet nun "Anywhere out of the World" dieses postapokalyptische Szenario, das architektorisch futuristische Tempodrom wird fiktiv selbst zum vollbesetzten Luftbunker, die Gäste die letzten Überlebenden, draußen mag die Welt in Schutt und Asche liegen, Dead can Dance irgendwo zwischen Endzeitstimmung und Neubeginn - dies liegt im Auge des Betrachters, der diese Perspektive mitunter auch beliebig wechseln kann und darf.


1981 von Perry und Gérard gegründet, präsentierten "Dead can Dance" getreu dem Tourmotto "A Celebration - Life & Works" in den nachfolgenden 120 Minuten einen breiten Querschnitt ihrer Musikgeschichte. Die insgesamt achtköpfige Live-Formation überlässt nichts dem Zufall, jede Zimpel, jeder Schellenkranz, jeder Shaker wird live eingespielt. Die Musiker wechseln teilweise beliebig die mittelalterlichen und ausgefallenen Instrumente, Lisa Gérard bedient an ihrem fiktiven "Altar" mitunter ein zither-ähnliches Instrument mit Schlegeln, Brendan Parry wechselt zwischen Akustik-Gitarre und Perkussions, Scott Rodger greift mal zu Bongos, mal zu diversen Flöten oder zur Gitarre.

Dabei wirken die sechs Musiker um die beiden Hauptakteure oftmals wie Statisten, sind oft nur schemenhaft in Schatten und Sillhouetten wahrnehmbar, während Gérard und Perry im Licht stehen.


Die übereinanderliegenden Leinwände werden dazu mal ganz in rot oder in blau getaucht, ein andermal waben skurille Symbole oder geometrische Figuren im Hintergrund darüber.

Eine faszinierende Stimmigkeit akustischer und visueller Kunst läßt den Zuschauer ein ums andere Mal eine Gänsehaut bereiten, vor allem wenn die Band ihre großen Klassiker wie "Xavier", "The Host of Seraphim" oder "The Carnival is over" zum Besten gibt.

Selbst wenn songs der sehr unter afrikanischen Einflüsse stehenden zwischenzeitlichen Alben performed werden, so wirken auch diese eher mystisch und entfalten eine Atmosphäre des Voodoo.

Mit "Dance of the Baccantes" - dem an diesem Abend einzigen song des aktuellen Albums "Dionysus" - verabschieden sich die Musiker zum ersten Mal unter tosendem und lang anhaltendem Applaus, letztlich erheben sich die begeisterten Berliner im ausverkauften Rund und feiern mit standing ovations.


Im ersten Zugabeteil bricht bei den ersten Klängen von "Cantara" erneut große Begeisterung aus, die Begleitband gibt an Schlagzeug, Perkussions, Trommeln, Pauken und Bongos noch einmal alles und nicht wenige wünschten sich, dieser Abend würde niemals enden.

Er tat es nach dem zweiten Zugabeblock mit "The Promised Womb" und zum krönenden Abschluß mit "Severance" dann doch. Noch einmal standing ovations, Brendan Parry und Lisa Gérard verabschieden sich sichtlich beeindruckt und glücklich samt ihrer Band und draußen wacht der Vollmond zwischen den Wolken über dem Tempodrom.

Der Schritt in die reale Welt nach draußen fällt schwer, sie liegt nicht in Schutt und Asche und die Apokalypse war noch nicht vorbei. Doch für 120 Minuten wurde man in diesen Glauben und in diese Welt entführt. Von zwei gnadenlos genialen Musikern, die wirklich alles sind. Nur nicht von dieser Welt.


Bericht : Jolly von Hayde


Wir bedanken uns bei Jannis Reiher und Ute Werler von "FKP Scorpio" für die Zusammenarbeit





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