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  • AutorenbildDJ Dave

WGT 2019 – Ein individueller Erfahrungsbericht

Teil 1 (Freitag/Samstag)

Leipzig, wir kommen! Lange hatten wir’s von der Ferne verfolgt und nun hatten wir uns Pfingsten 2019 freigehalten für unser erstes WGT. Voller Vorfreude akribisch vorbereitet, genäht, gebastelt und gepackt, WGT Whatsapp-Gruppe mit unseren Freunden ins Leben gerufen, die WGT-App und die ÖPNV-Navigationsapp easy-go auf dem Handy installiert, Musikgruppen probegehört und interessante Konzerte markiert….quasi perfekt vorbereitet…und doch sind wir überrascht von der Wirklichkeit des Wave-Gotik-Treffens. Leipzig ist über Pfingsten offensichtlich das Epizentrum der Szene und die Stadt begrüßt die schwarzen Gäste schon in Bus und Bahn auf allen Monitoren. Wir sind erfreut vom massiven Schwarz, der Menge der Treffen Besucher, von der Offenheit und Hilfsbereitschaft der Leipziger Bevölkerung, mit denen man fast so leicht, wie mit anderen Schwarz-Trägern ins Gespräch kommt, von der offensichtlichen Vielfalt und Kreativität der schwarzen Szene, von der Buntheit des Schwarz und den zahlreichen nicht-wirklich-schwarzen, aber kreativen Sympathisanten (frei nach dem Motto: „Randgruppen aller Länder vereinigt Euch!“).


Getting started

Erste Aufgabe am Freitag: Hauptbahnhof, WGT Karte gegen Bändchen tauschen, also Anlaufstation Bändchenausgabe…soweit so klar. In der belebten Bahnhofgegend wimmelt es nur so von schwarz. Schnell gefunden ist die Warteschlange, die unübersehbar lang, wunderbar heimelig schwarz und vorwiegend super gestylt aufgestellt ist. Da stellt man sich doch gern dazu, wird Teil der internationalen Menge, das Anstehen stört nicht, es gibt viel zu sehen und es geht viel schneller voran als gedacht. Wir werden in der Schlange mit Gratis CDs, Werbezetteln, Pechkeksen und vielem anderen mehr bedacht und endlich haben wir die Bändchen am Handgelenk und den Pfingstboten in der Hand. Das offizielle Programmbuch 2019 ist liebevoll gestaltet und zu unserem Entzücken ein richtig dickes gebundenes Buch-unsere Pfingst-Bibel.


Zweite Aufgabe: Wie finden wir die richtige Bahn zum Clara-Zetkin-Park, zum Viktorianischen Picknick? Die These „die sind entsprechend angezogen, die wollen da sicher auch hin, die fragen wir“ erweist sich als völlig unbrauchbar. Zwar wimmelt es an der Tramhaltstelle am Bahnhof von schwarzen Gestalten, aber auf allen Bahnsteigen gleichermaßen. Der erste Versuch entpuppt sich als eine Gruppe skandinavischer Grufties, die zum Glück englisch sprechen und die da wirklich auch hinwollen, aber leider ebenfalls keinen Plan haben wie. Dafür freuen sie sich aber, dass wir sie vielleicht hinführen könnten und traben ab da erst mal hinter uns her. Der nächste Versuch beeindruckt uns optisch ungemein, der junge Mann ist mit Absätzen bestimmt über 2 Meter groß und sieht zauberhaft aus im Elfenkönigsoutfit mit weißen Kontaktlinsen, aber erklärt uns leider mit zarter Stimme und österreichischem Akzent, dass er und seine Begleiterin auch keine Ahnung haben, aber auch hinwollen. Kommt uns schon bekannt vor… Erlösung bringt schließlich ein Normalo Leipziger Ureinwohner und wir erwischen mit unserem temporären Anhang endlich die richtige Straßenbahn zum Park.


Viktorianisches Picknick

Nach dem Ausstieg aus der Tram und der nachfolgenden Orientierungsphase sehen wir hinter den Wohnhäusern erste Bäume schimmern, da ist der Park und damit auch Leute, sehr, sehr viele Leute. Alle Arten von Menschen, man sieht Träger historischer Kostüme, Cosplay, Fantasyoutfits, Fabelwesen aus Traum oder Alptraum, dazwischen normale Gothics und vor allem viele bunt-normale Menschen mit Fotoapparaten. Reifröcke jeder Art und Farbe, Kopfputze in XXL mit und ohne Hörner, Flügel in groß oder klein, tonnenweise Makeup, Schmuck, Kontaktlinsen jeder Art – alles ist hier zu sehen und die aufgewandte Arbeit und Kreativität kennt keine Grenzen. Es wird posiert und fotografiert, dazwischen kunstvolle Picknick Gedecke und Steampunk Gerätschaften. Nachdem wir keine fremden Menschen fotografieren wollen machen wir keine Bilder, es gibt im Netz ja genug davon. Vor den größten Menschenansammlungen biegen wir ab und finden ein ruhigeres Plätzchen um all die Eindrücke zu verarbeiten.

Was das Ganze mit Wave-Gotik zu tun hat? Die Frage ist sehr berechtigt. Aber ohne Zweifel hat gerade diese Veranstaltung, wie keine andere zum positiven Image des WGTs in Leipzig und Umgebung beigetragen, denn nirgendwo sonst treffen Bevölkerung und zumindest Teile der schwarzen Szene so wunderbar zusammen. Nirgendwo sonst kann man eindrucksvollere Bilder schießen. Und beide Seiten bekommen genau hier was sie wollen, die einen sonnen sich in der Bewunderung ihrer Outfits, die anderen bekommen unendlich viel zu sehen. Unvergesslich für uns der ältere Herr vom Typ Alfred Biolek mit seinem Hundchen, der sich im engen roten Latexkleidchen und extremen Highheel Schuhen ohne Absätze, strahlend vor Glück in der Aufmerksamkeit der eifrigen Fotografen sonnte. So bietet das WGT auch eine Plattform für Randgruppen aller Art, dabeisein -auch ohne wirklich dazuzugehören- ist alles, die Toleranz der schwarzen Szene macht fast alles möglich. Hauptsache es ist nicht langweilig und wer den Rummel nicht mag, geht nicht hin. Ganz einfach. Das Viktorianische Picknick ist zwar in den Augen der Welt der dekorative Aushänger des WGT, aber für die schwarze Seele nur ein kleiner Teil des Treffens und das WGT bietet so viel mehr.


Haus Leipzig – Alien Vampires

Musik zum Beispiel…wir machen uns auf zum Haus Leipzig, denn wir haben die Alien Vampires auf unserer to-Do-Liste. Die Fantasiegeschöpfe lassen wir im Park zurück und treffen hier auf eine „normale“ schwarze Industrial-affine Szene. Frühzeitig vor Ort sein, das hatten wir beherzigt, also sind wir viel zu früh dran. Zeit für den kleinen Einkauf beim Rewe nebendran. Das Haus Leipzig ist nahezu neu, mit Aufenthaltsraum und Garderobe im EG und dem Konzertsaal und Bar im OG, man ist nah dran an der Bühne und der Sound ist klar. Weil wir wirklich viel zu früh dran sind, nehmen wir die Band davor noch mit, Xentri-fuge aus den USA. Ein Industrial Duo aus dem New Yorker Untergrund. Optisch und Musikalisch nicht schlecht, der Sänger müht sich redlich und schreit sich die Stimme aus dem Hals um Stimmung zu erzeugen, aber er hat es nicht leicht. Für mich mangelt es leider etwas an tanzbarem Rhythmus in den Songs und die Bässe sind auch etwas schwach eingestellt. Nach einer Bratwurst- bzw. Umbaupause dann die englisch-italienische Formation Alien Vampires.


Kraftvoll und dynamisch der Auftritt, beeindruckend die Erscheinung von Sänger Nysrok Infernalien , mit Pudelmütze, beeindruckenden Stachel Lippenpiercings und rot unterlegten Augen. Die zweite wichtige Person auf der Bühne ist Nightstalker am Keyboard, Drum und Gitarre, der entsprechend des erhitzten Raumklimas seine Tattoos zeigt. Dazu noch zwei weitere Herren, wohl eher etwas Live Gig-Deko sind, die aber zusätzlich Action auf die Bühne bringen. Und die Alien Vampires machen nicht nur optisch was her. Sie bieten auch guten Sound, durchdringende Bässe und spielen deutlich härter als auf den Studio Aufnahmen.


Kennzeichnend für die Band sind gute elektronische Melodien, stampfende Rhythmen, eine dichte Bühnen-Atmosphäre, verzerrter und normaler Gesang und ab und zu auch ein Gitarrensolo. Eine packende Mischung aus Industrial, Elektronik und etwas Metal, die Vampires wissen genau, wie man electronic Dancefloors in die Hölle schickt, es herrscht feinster Lärm und harte Beats. Und das Publikum ist gut dabei, tanzt, hüpft und feiert zu den energiegeladenen Songs, wie z.B. „Fuck Borders“ oder „Control the Universe“.

Unsere Freunde gehen anschließend noch zu den legendären WGT Partys, wir brav nach Hause, denn ich vergaß zu erwähnen, dass wir mit unseren Kids unterwegs sind.


Thema WGT & Kinder

Familienausflug WGT ist ein Erfolgsmodell oder pure Notwendigkeit, das zeigen die vielen Familien auf dem WGT. Klar dass auch Latexträger und Lederfetischisten liebevolle Eltern sind. Viele der kleinen Mäuse tragen riesigen bunten Gehörschutz. Unsere Kinder sind schon größer (Die Pubertät lässt grüßen) und mit kleinen schwarzen Ohrstöpseln zufrieden, den Dresscode fürs WGT haben sie also schon intus. Grundsätzlich ist das WGT eine kinderfreundliche Veranstaltung, unter 13 Jahren kostenlos. Man kommt nahezu überall rein (Fetisch Party muss man ja nicht unbedingt) und niemand will irgendwelche Papiere sehen. Gehörschutz ist dafür Vorschrift und es gibt eine Kinderbetreuung in der Agra. Das Programm ist zudem so vielfältig, dass man gut auch einen kinderfreundlichen Ablauf erzielen kann. Auch unser Programm richtet sich natürlich nach den Bedürfnissen der Kids. Das bedeutet viele Kompromisse, dauernde Eisstops, regelmäßiges Essen, nicht mehr als 3-4 Konzerte am Tag, keine Partys und am schlimmsten das Ertragen von Genörgel und gelangweilten Gesichtern, wenn wir mal unsere Bedürfnisse vorne anstellen. Unser Programm ist damit quasi WGT-light.


Shopping Samstag

Am Samstag steht bei uns dann erst mal Shopping auf dem Plan mit Innenstadt Leipzig, man will ja auch was von der Stadt sehen. Viel sehen wir nicht, denn die freundliche Stadt ist gerammelt voll, es ist ja auch noch Stadtfest. Kleine Läden dominieren die Fußgängerzone. Nett sind die Bemühungen der Händler, in vielen Läden hängen die schwarzen Klamotten ganz vorne und Schaufenster sind liebevoll für den schwarzen Kunden dekoriert. Gothik Menüs werden vereinzelt angeboten und schwarzes Eis in schwarzer Waffel gibt’s zahlreich an den Eisdielen. Wir entscheiden uns für ein indisches Restaurant und essen mitten in der Fußgängerzone und beobachten entspannt das große Flanieren. Dann drücken wir uns durch den kleinen total überfüllten und sehr erhitzten EMP Hinterhof Outletshop, bewundern die stylische Deko im Wonderland 13 und beschließen eine Ruhe- und Stylingpause, bevor wir dann zum Abendprogramm starten.


Die Agra

Das Zentrum des WGT liegt etwas außerhalb des Zentrums und es dauert doch einige Haltestellen mit Umsteigpause beim Döner/Pizzeria bis wir dort ankommen. Die Tram ist kurz vor Ziel dann komplett schwarz besetzt, die Haltestellen auch. Wie schön und wie normal das sich anfühlt. Einmal über die Straße noch und an den ersten Essensständen schallt schon The Cure aus dem Lautsprecher…das fühlt sich heimisch an. Nach der Bändchenkontrolle am Eingang, gibt’s dann keine neugierigen Blicke oder bunt angezogenen Leute mehr…alles auf schwarz. Man ist unter sich. Links die alten Messehallen sind leicht verratzt, was zum Wohlbefinden durchaus beiträgt, davor und daneben viele Essens- und Getränkestände. Rechts dahinter das gut besetzte Campinggelände. Man sieht viele kleine Zelte, Busse usw. Zutritt gibt’s dort aber nur für Camper mit Obsorgebändchen.

Wir laufen mal planlos zu den Hallen, passieren die Händler-Halle und das Café und erspähen schließlich einen Blick in die Konzerthalle. Doch das ist nur der Ausgang, also außenherum zur anderen Seite, durch die Securitykontrolle, die übrigens überall stets sehr freundlich ist. Wir betreten die riesige kahle Messehalle mit der großen Bühne und Getränkeständen, die gerade noch recht leer ist. Also nochmal raus und dann das ganze Spiel von vorne, denn unser Abend startet mit


Welle:Erdball

Kaum startet der Soundcheck, schon beginnt sich die Halle langsam zu füllen. Welle:Erdball bleibt dem erfolgreichen Rezept treu: eingängige elektronische Melodien á la Commodore 64 im Retrostil der Neuen Deutschen Welle mit witzigen, oft auch kritischen Texten. Perfekt und unterhaltsam kredenzt von Sänger Honey, flankiert von den beiden neuen hübschen Sängerinnen. Special Guest ist Alf, der offiziell nicht mehr zur derzeitigen Besetzung zählt. Viel Spaß für Auge und Ohr ist garantiert, die Show ist perfekt und farbig, mit Kostümwechseln und Videoleinwänden. Aktiv wird die Party mit den großen weißen Welle:Erdball Luftballons, die bei „Fliegen, schweben, fallen“ noch weit über das Lied hinaus über der Menge hüpfen und schweben. Diese Sendung von Welle: Erdball macht Stimmung.

Nach kurzer Pause geht’s weiter mit


Nitzer Ebb

Die Erwartungen sind groß, Nitzer Ebb ist seit der Gründung 1982 eine Institution im Bereich Elektro/EBM. Die Band spielt 2019 wieder in der Urbesetzung David Gooday, Simon Granger, Bon Harris and Douglas McCarthy. Das Konzert beginnt mit einem etwas verhaltenen neuen Stück, das sehr gleichförmig und sehr lang ist, mehr Clubsound als EBM, wie die meisten der neuen Songs. Aggressivität und Frische sucht man vergebens, aber der Sound ist ordentlich und die eingestreuten alten Hits, wie „Let your Body learn“, „Join in the chant“ und viele mehr sind wohlbekannt und immer wieder mitreißend. Im Grunde Clubsound vom feinsten, eher elegant als aggressiv, wie auch McCarthy selbst, der im Anzug über die Bühne hin und her läuft und seinen Sprechgesang abliefert. Nitzer Ebb sind wohl im Lauf der mehr als 30 Jahre erwachsen geworden, aber trotzdem macht das Konzert der tanzenden Menge Spaß. Verständlich aber, dass Liebhaber der neuen härteren EBM Sounds etwas enttäuscht sind und mancher etwas von langweilig oder müde munkelt. So viel zum Thema alte Helden…und unter die Kategorie fällt auch das nächste Konzert in der Agra,


New Model Army

Konstant ist seit der Gründung 1980 nur der Sänger, Gitarrist und Komponist Justin Sullivan dabei. Das reicht, denn er sorgt, mit seinen auch politisch gehaltvollen Texten (es erfolgt natürlich auch ein kurzer verbaler Seitenhieb auf den „fucking Brexit“) und seiner Stimme, für den typischen NMA Sound. Das Konzert beginnt mit dem gefühlvollen „Winter“ von 2016 und es ist etwas schade, dass außer „51st State“, nur neue Songs gespielt werden. Leider sind die meisten Zuhörer mit denen weniger vertraut. Musikalisch solide, aber Mitsingen Fehlanzeige. New Model Army ist schwer einzuordnen, Post-Punk jenseits aller Kategorien, fast archaisch herausstechend im elektronischen Umfeld. Unvergessen ist das Album „Thunder and Consolation“ von 1989. Aber erst mit der Zugabe „Vagabonds“ inklusiv Live-Geigerin knüpfen New Model Army wieder an die alten Hits an. Schade, aber für uns ist es genau da Zeit die Agra zu verlassen, denn wir wollen den Uhr Nachtbus bekommen.

So endet unser WGT-Samstag gegen ½ 4. Unser erstes Fazit: es gibt viel zu viel interessante Programmpunkte, zu viele Lokation…und wir haben noch viel zu wenig gesehen. Das dumpfe Gefühl viel verpasst zu haben und gute Vorsätze für die nächsten beiden Tage sind die Folge.


Bericht: Susanne / Bilder von Andreas

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